Ist doch irgendwie verrückt: nur deinetwegen bin ich in die Geschichte eingegangen, nicht ob meiner Verdienste um das Imperium Romanum, um das Römische Reich, das längst untergegangen ist, während du offensichtlich bis heute noch lebendig bist, wie auch immer, präsent bist du jedenfalls. Roma morta est, Christianitas vivit, Rom ist tot, das Christentum lebt. Gloria in excelsis, um deines Ruhmes, deiner Ehre willen werde ich nicht vergessen und durch alle geschichtlichen Zeiten geschleift. Meiner Ehre dient das wohl kaum. Oder? Du meinst, ich könne ja zufrieden sein: Denkt man an dich, denkt man an mich! Eben nicht!

Seit nunmehr 2000 Jahren wälzt sich dieser Gedanke unentwegt durch mein Gehirn: Warum bin ich in deine Lebensgeschichte hineingeraten? Denkt man an dich, denkt man an mich. Nein, das gefällt mir nicht. Ich hätte sehr gewünscht, dass man meiner ohne den Zusammenhang mit dir gedenkt. Habe nie etwas mit dir am Hut gehabt, mich zu deiner Zeit nicht für dich interessiert, ich hatte größere Aufgaben auf meinem Schreibtisch: in der nahöstlichen Ecke der Welt unser Welt-Reich zu stabilisieren.

Ich galt beim Caesar als ein fähiger, effizienter Staatsbeamter und Militärstratege. Zehn Jahre, von 26 bis 36 nach moderner Zeitrechnung, war ich der Repräsentant des Kaisers in Judäa, zehn Jahre lang; kein anderer hatte diese Aufgabe und dieses Amt so lange inne wie ich. Mein Kaiser war nicht zimperlich; wenn einer nicht das leistete, was der Caesar von ihm erwartete, flog der hochkant raus, Ende seiner Laufbahn, im Beruf, nicht selten auch auf der Erde. Kein Zweifel, ich habe meine Aufgabe gut gemacht.

Weißt du, was mich so ärgert? Deine vier Evangelisten haben mich zur dümmlich-debilen Randfigur deiner Lebensgeschichte gemacht. Mit nur wenigen Zeilen – mehr waren es ja nicht – haben sie mich der verachtenden Lächerlichkeit preisgegeben. Ist das etwa eine Retourkutsche deinerseits? Wie meine Soldaten dich, verspottet mich nun für immer die täglich weiter wachsende Geschichte. Dank deiner Herren Evangelisten. Woher nehmen die sich das Recht, meine Rolle in deinem Leben so lächerlich zu verfälschen?

Und als wolle man die Perfidie noch steigern, ziehen mich deine Christen in jedem ihrer Gottesdienste in dem Gemurmel, das sie Credo nennen, despektierlich durch die Zähne: „Crucifixus, etiam nobis, sub Pontio Pilato.“ „Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus.“, als wenn ich Schuld an deinem Desaster zu tragen hätte. Auf dem zweiten Reichskonzil zu Konstantinopel im Jahre 381 wurde mein Name in das große Credo verbindlich eingefügt, nun für alle Zeiten fest darin verankert.

Pontius Pilatus, seines Zeichens Präfekt des großen Caesar Tiberius in Judäa, als Opium für Zweifler und Glaubensunwillige, als Existenzbeweis deiner Person, als beweistragende Brücke zwischen Himmelreich und Erdenreich. Heute noch formulieren die ungebildeten Gebildeten hohnreich, wenn sie eine unpassende Verknüpfung von Inhalten geißeln wollen: ‚Wie Pilatus ins Credo kommen!‘ Also auf diesen Missbrauch meiner Person kann ich mir nun wirklich nichts einbilden. Von der Geschichte vergessen werden, wäre besser. Müsstest du doch eigentlich verstehen, zweitausend Jahre geschmäht, machen bitter. Vergiss nicht, Sprache schafft Wirklichkeit, Geschriebenes noch viel mehr!

Die italienische Sprache ist von feinzüngiger Kraft, die sich so wunderbar zuspitzen lässt. Wie antwortet man auf die Frage nach dem Sieger des Autorennens: „Ha vinto Ponzio Pilota su fiat voluntas dei.“ Da komme ich mir vor wie eine altehrwürdige Eiche, an welche die sträunenden Strassenhunde ganz Italiens ihr Bein heben. Was ist die republica italiana und ihre Köter schon gegen das Imperium Romanum und seine Wölfe? Was bitte?

Deine Evangelien-Schreiber und kirchlichen Gebete- und Liedermacher haben eine immer etwas glücklose Automarke ins Paternoster, ins Vaterunser, eingestellt: Dein Wille geschehe, hör dir das an, fiat voluntas tua. War das nötig? Klingt wie: fiat voluntas tua erat, dein Wille war ein Fiat. An dessen statt hätten deine successores, deine Nachfolger, mich erwähnen können, zum Beispiel so in eine fromme Bitte gekleidet: „Und Herr, mach uns stark wie Pontius Pilatus!“ Tausendmal besser als dieses post-römische autocinetum Augustae Taurinorum, dieses nach-römische Auto aus Turin. Ja, ins Vaterunser hätte ich gehört, das hätte mir zugestanden, nein besser, das steht mir historisch zu. Nachdem, was ich für den Frieden in Palästina und für dein Christentum geleistet habe. Aber nein, das Credo musste es sein, als feinsinnige Rache des Christentums am Richter Pontius Pilatus. Aber eben, Geschichte schreibt, der obsiegt: Roma morta est, Christianitas vivat. Amen. Das Imperium Romanum ist tot, das Christentum lebt. Noch!

Diese feinen Sticheleien gehen so weiter. Deine spitzzüngigen und so verweltlichten Christen verhöhnen mich, indem sie meinen Namen verballhornen, um andere wie mich damit lächerlich zu machen. Erinnerst du dich, ist noch gar nicht so lange her, in solchen Dingen habe ich ein gutes Gedächtnis, dein sittenstrenger Stellvertreter, Pontifex Maximus Paulus Sextus, Papst Paul der VI, war Chef deiner weltumspannenden Kirche, ein Kirchenlenker von recht fragiler Konstitution, verweigerte seinen weiblichen Schäfchen den Gebrauch der Pille, woraufhin seine männlichen Schäfchen ihn sogleich höchst despektierlich als Pontius Antipillatus titulierten. Was Paul VI wollte oder nicht wollte, ist mir einerlei, und wenn ihr Christen ihn verachtet, ist das eure Sache, aber mich in dieses gemeine Wortspiel so verächtlich mit hineinzuziehen, das ärgert und verletzt mich, es macht mich wütend. Macht eure Händel unter euch aus und lasst mich in Frieden.

Es ist wirklich mehr als ärgerlich. Ich werde immer nur in negativem Bezug erwähnt. Jemand, der von der einer Behörde zur anderen und von der anderen wieder zur einen geschickt wird, lässt schnell einmal die vorwurfsvolle Bemerkung fallen: ‚Die da oben, was denken die sich eigentlich, mich von Pontius zu Pilatus zu schicken?‘ Schmeichelhaft ist das für mich nicht, wirklich nicht! Ehrenvoll schon gar nicht! Die Leute finden im Kleinsten meines Tuns Anhalt, mich über Jahrtausende zu verunglimpfen: Nur weil ich dich, ihren Jesus, zu König Herodes Antipas, ein Jude wie du, geschickt habe, dass er doch als Landesherr deines Heimatlandes Galiläa über dich nach dem Motto: Judenauge um Judenauge, Judenzahn um Judenzahn, entscheiden möge. Statt dessen er dich urteilslos wieder an mich überstellt. Ist das etwa schon des Grundes genug, mich in den Dreck zu zerren?

(Ausschnitt aus dem Ein-Personen-Stück: … ich Pilatus … du Jesus)