Ja … , also, was soll ich sagen: Der Theodor Onkel war ein eigenwilliger Mensch. Es ist gar nicht so einfach, eine Person mit einem einzigen Wort treffend zu beschreiben, aber hier ist es sozusagen ausnahmsweise möglich. Unter dem Adjektiv eigenwillig fallen Eigenschaften wie wohlbeleibt; linkisch; schwerfällig-langsamer Watschel-Gang; nicht bucklig, doch gebogen wie die Peitsche einer Straßenlampe; glatzig über den ganzen Kopf, anlässlich jeden Wutanfalls rötlich eingefärbt, seine markante Nase dagegen nicht rötlich, sondern in Rot eingetaucht und wirkte sommers so auch winters wie ein nach vorn gedrehtes Rücklicht seines Autos; ein Hals war beim ihm nicht feststellbar, hielt sich wohl je zur Hälfte in Kopf und Körper versteckt. Außer Hauses krönte er seine Glatze mit breitkrempigem Hut und seinen Korpus mit einem ausgeblichenem Regenmantel. Moment, habe ich noch etwas vergessen?, ja, habe ich: Er liebte es, sich auf Kosten anderer zu amüsieren, indem er sie foppte. Und war ein ausgesprochener Griesgram, undurchschaubar, irgendwie auch unberechenbar und geizig wie ein Geizkragen: kleinlich wie ein Korinthenkacker, knauserig wie ein Erbsenzähler, kniepig wie ein Pfennigfuchser. Geiz wohl seine ausgeprägteste Eigenschaft. Selbst sein vergilbter Regenmantel war unter der Last seiner Jahre geizig geworden. Kinder fand der klobige Onkel mehr als lästig, zumindest uns sieben. Ob er das alles auch war, was ich da so vor mich hingeschrieben habe, weiß ich nicht zuverlässig zu sagen, doch so wirkte er auf uns, und das ist wahr und ungelogen.

Die ungewohnte und ungewöhnliche Umreihung von Verwandtschaftsgrad und Vorname, Onkel Theodor zu Theodor Onkel durch uns Kinder verdankte er seiner Schwerfälligkeit, der wir damit nachhaltig Ausdruck verliehen. Theodor Onkel war der Bruder unserer Großmutter und damit der Onkel unserer Mutter. Wer sich in Genealogie auskennt, versteht aus diesem verwandtschaftlichen Zusammenhang leicht abzuleiten, der Theodor Onkel konnte nicht unser Onkel sein, wurde von uns nur so genannt, der sogenannte Onkel war unser Großonkel. Zur Zeit, über die ich mich anschicke zu berichten, dürfte er in der zweiten Hälfte seiner siebten Lebensdekade gestanden haben.
Dass wir diesen eigenwilligen Menschen nicht merkwürdig, vielmehr im wirklichen Sinne des Wortes komisch fanden, kann wohl jedermann nachfühlen. Um unsere Achtung vor ihm auf ein etwas höheres Niveau zu heben, wurde uns in getragenen Worten bedeutet, dass besagter, nun betagter Onkel einst Direktor von Siemens war, einem damals schon bedeutenden Unternehmen. Die Information verfehlte ihre Wirkung, wir nahmen solche Würden gelassen; was ist schon ein Direktor, der nicht allein merkwürdig, zugleich auch komisch ist. Komisch zum Auslachen.

Da gab es noch etwas, das mir sehr erwähnenswert erscheint. Der Theodor Onkel war mit einer siebzehn Jahre jüngeren Tante unserer Mutter verheiratet, das heißt, sie wurde erst durch ihre Heirat zur mütterlichen Tante gemacht. Jedoch, so fanden wir, als Tante unserer Mutter taugte sie recht wenig, da sie nur recht wenig älter war als ihre Nichte. Das schmälerte unseren Respekt vor ihr, und es half überhaupt nichts, wenn uns unsere Eltern mit gehobenem Zeigefinger belehrten, die Tante sei die Tochter des Oberbürgermeisters einer bedeutsamen niederrheinischen Stadt. Sie hatte eine unangenehme, weil hohe, Stimme, die man nur als krakisch bezeichnen konnte, sie sprach scharfen und hohen Tones, wie es nach unserer Vorstellung Kraken untereinander zu tun pflegen. Wir hielten sie für eine scharfzüngige Krake. Mit unserer Einschätzung standen wir nicht allein. Ja, nicht zu vergessen, sie war geizig. Ihr Geiz übertraf den des Onkels um ein Mehrfaches; böse Zungen redeten, er sei von ihr angesteckt. Ihre faltenreiche Physiognomie strahlt förmlich vor Geiz, ihr krauses Haar stand ungepflegt in gekräuselten Strahlen rund um das finster dreinblickende Geizgesicht herum. Unser Spruch dazu war treffend: „Krause Haare, krauser Sinn!“ Nur unter vorgehaltener Hand führten wir die Spruchweisheit weiter: „Steckt der Teufel mitten drin!“. Meine ältere Schwester, während ihres Studiums, Großonkel lebte da schon nicht mehr, bei Großtante in einem kleinen Zimmer einquartiert, weiß zu erzählen, dass etwelches Zusatzfutter – ihr zur Unterstützung ihrer geistigen Kräfte, zwecks noch erfolgreicheren Studiums, von unserer Mutter von Zeit zu Zeit mitgegeben – von der resoluten Tante sofort nach Ankunft ihr abgefordert wurde und regelrecht in deren Magen verschwand. Ob Onkelchen darob im kühlen Grab gelacht und die Hände gerieben oder geweint und die Tränen abgewischt hat, blieb sein Geheimnis.

Ich muss zugeben, dass unsere Meinung und unser Fühlen über Onkel Großonkel und Tante Großtante irgendwie völlig unausgesprochen vom Verhalten unseres Vaters beeinflusst waren. Wir hörten zwar nie eine negative väterliche Äußerung; man, ich meine wir Kinder, konnte einfach spüren, dass er keine besondere Zuneigung zu Onkel Direktor und Tante Oberbürgermeistertochter hegte. Kinder haben für das Unausgesprochene ausgezeichnet funktionierende Antennen. Nein, es ist wahr, unsere Meinung zu den Qualitäten von Onkel und Tante Geizkragen war nicht nett, gar nicht. Fragen Sie, wie ich das heute sehe, würde ich deutlich weniger suspekt und subjektiv antworten: Sie haben sicher auch eine Menge guter Eigenschaften aufzuweisen gehabt, die sich einfach nicht so öffentlich zeigten, jedenfalls uns nicht.

Da ist noch von zwei weiteren Umständen zu berichten, welche bestens dazu geeignet waren, unser Bild von Onkel und Tante aus der Stadt sogar ein wenig dem Lächerlichen preiszugeben. Beide Fakten haben die Gemeinsamkeit, mit den unterleiblichen, zur Entsorgung notwendigen Öffnungen zu tun zu haben. Theodor Onkel und Tante wohnten nämlich in der Pippinstraße, Nummer 10, ich erinnere mich genau. Das ‚n‘ und das zweite ‚p‘ von Pippin war natürlich in unseren Augen ein Schreibfehler. Mit oder ohne ‚n‘ und ‚p‘ gab diese Wohnadresse Anlass zum häufigen Aufsagen des Spottverses: Karl der Große macht in die Hose, Pippin der Kleine macht ihm ‘ne reine! Alles klar, nicht wahr, da muss doch gelacht werden. Auch der zweite Umstand führte zu ausgiebigem Gelächter unsererseits. Die Großtante hieß mit Vornamen Wilma, dafür konnte sie nichts, und es war ja auch nichts dabei. Prekär wurde die Sache erst dadurch, dass der Theodor Onkel sozusagen durch den Akt der Verehelichung mit der Willma-Tante ihr seinen Stammesnamen – wie damals noch als einzige Möglichkeit gesetzlich vorgeschrieben – aufdrückte. Peinlicher Weise zierte ein großes C, nicht ein hohes, als erster Buchstabe den Herkunftsnamen des Großonkel-Onkels, was er vornehm fand, wir aber nicht, denn nun gesellte sich als Folge der ehelichen Übertragung auf die Tante das große C zum willmaschen großen W und damit zu WC und wanderte so als fein ziselierte Gravur auf alles Silberbesteck und als aufwändige Stickerei auf alle Servietten, Bett-,Tisch- und Küchenwäsche. Es durfte vermutet werden, dass beiden die ihnen so wertvolle Zweierkombination in eine ihrer hinteren Sitzflächen eingebrannt war. Wann und wo immer wir des Onkel-Tante-Duos ansichtig wurden, kicherten wir mit großer Ausdauer: WC, WC, WC …! und erfreuten uns großen Lachens, so wir nicht gerade im Blickfeld der elterlichen oder älteren Generation standen. WC, WC, WC …hi-hi-hi! Bekam der leicht erregbare Onkel das mit, spannte sich das Rot seiner Nase über die ganze Glatze aus; bekam die alte kalte Tante es mit, zogen sich ihre Mundwinkel nach unten, ihre Stirn wurde noch faltiger, als sie ohnehin schon war und über ihre Lippen schob sich die verächtliche Bemerkung: „Diese unerzogenen Bälge.“

Ja, übrigens, was ich noch sagen wollte, Theodor Onkel war Taufpate meiner dritten Schwester; die Ausbeute dieser Patenschaft in donativer, geistiger und spiritueller Hinsicht blieb für sie gering. Geiz ist in keinem der genannten Fälle ein trefflicher Gevatter. Natürlich war es nicht nur der Geiz, Schuld hatte auch des Paten aufgelaufenes Alter. Wenn wieder mal das der Schwester zugedachte onkelsche Mitgebringsel höchst bescheiden ausgefallen war, rümpften wir die Nase und stießen uns gegenseitig an: „Eben, geizig.“ Meinem jüngsten Bruder, als Patenkind der krämerischen Tante zugewiesen, war nicht mehr Glück beschieden. Das mit dem fortgeschrittenen Alter hatte seine Bewandtnis darin, dass, je mehr Kinder wir wurden, unser Vater – der auch auf diesem Gebiet in jeder Hinsicht das alleinige Sagen hatte – zwecks Auswahl von Pate und Patin umso öfter auf die Großgeneration zurückgreifen musste.

Nun, verehrte Leserin, verehrter Leser, verfügen Sie über das notwendige Rüstzeug, die nachfolgend zu erzählende Begebenheit in ihrer strategischen Qualität und gezielten Treffsicherheit wirklich verstehen zu können. Ausgangspunkt der Aktion, in Wahrheit eine Gegenaktion, war der Umstand, dass mich der Theodor Onkel schwer gekränkt hatte, und ich daraufhin gar nicht anders konnte, als langfristig auf eine strategisch gut vorbereitete Attacke in Gegenrichtung zu sinnen. Was war passiert, das mich so gekränkt hatte? Wegen der langen Vorgeschichte nicht ganz so einfach zu berichten. Also, es war so: Da die Westfront der Amerikaner immer schneller in das Rheinland vorstieß, mussten wir Mitte November 1944 unser Heimatdorf verlassen, um uns jenseits des Rheines im Bergischen Land in mehr Sicherheit zu bringen. Im Juli 1945 durften wir in unser arg demoliertes Dorf zurückkehren. Die Amerikaner waren teils weitergezogen, teils hatten sie sich in ihren Camps gesammelt. Viel Kriegshilfsmaterial war zurückgeblieben und überall in der Gegend verstreut. So auch Teile der Feldtelefone. Diese Dinger hatten es mir angetan. Wie mussten sich herrlich mit solchem Gerät Gedanken weitertransportieren, Gedanken austauschen lassen. Denn trotz der ansehnlichen Anzahl von sechs Geschwistern fühlte ich mich oft mit meinen Gedanken allein.

Lassen Sie mich hier eine Beobachtung einfügen: Geschwister zeigen untereinander ein ganz feines Gespür für Eigenschaften und Befähigungen der Einzelnen der geschwisterlichen Gruppe, sie entwickeln schon sehr früh eine Gruppenmeinung über jedes von ihnen, ohne sich mit Worten darüber abzustimmen. Ihre Erkenntnisse zum jeweils Anderen drücken sie in unausgesprochenen sachlichen Bezeichnungen aus: die Strebsam-Tüchtige, der Helfer in Nöten, der kreative Professor, der Liebling aller, die Freigebig-Großherzige, der feinsinnige Scheue, der gewiefte Kaufmann. Natürlich gab es für jeden einen Spitznamen, der diese Einschätzung zum Ausdruck brachte. Ich erinnere mich an alle diese Übernamen ganz genau, alle feinfühlig und nicht bösartig erdacht. Doch sie sollen unter uns Geschwistern als unser kindliches Vermächtnis bleiben. Nach all’ den Jahren bin ich überrascht, wie treffsicher sich unsere gegenseitig übergestülpten Charakter- und Fähigkeitsbeschreibungen im Leben der Einzelnen bestätigt haben. Mit dem Professor war ich gemeint, meine Geschwister erkannten mir einen sehr ausgeprägten Erfindungs- und Ideenreichtum und eine starke Phantasie zu. Sie mussten es wissen. Ihr Urteil war keineswegs negativ gemeint. Wäre es so gewesen, hätte ich es hier nicht niedergeschrieben.

Zurück zu den Feldtelefonen der Amerikaner. Ein Telefon wie das der Sieger, das man herumschleppen kann, das wäre nun das Richtige gewesen, um meine Phantasien, für mich waren es Gedanken, weiterzuleiten, wohin auch immer, vor allem aber zu meiner um ein Jahr jüngeren Schwester. Aber ich musste schnell erkennen, die mir so angelegene Idee war nicht umsetzbar. Die zurückgelassenen Feldtelefonreste waren im Nu vergriffen.

Erst einige Jahre später, war inzwischen so etwa zwölf Jahre alt, öffnete ein durch meinen Langzeit-Wunsch hervorgerufener Zufall endlich den lang ersehnten Türspalt zur Realisierung meines Gedanken-Telefons. Wie wohl? Na, Sie werden es schon erraten haben, über den nicht so recht geliebten Theodor Onkel. Irgendwo hatte ich aufgeschnappt: Siemens oder war es Siemens & Schuckert oder Siemens & Halske, wie auf unserem Kühlschrank in der weißen Emaillierung eingeprägt zu lesen stand, stellen Telefonanlagen her. Theodor Onkel war unerwartet und im Nu der liebe Onkel Theodor. So stand es als Anrede auf meinem in himmelblauer Tinte geschriebenen und ungelenk formulierten Brief an ihn. Er hätte doch sicher noch Kontakte und so und ob er mir nicht zwei nicht mehr gebrauchte alte Telefongeräte besorgen könne. Er konnte, ganz offensichtlich, denn nach einiger Zeit traf ein großes Postpaket für mich ein: Tatsächlich, zwei Telefone. So einen Onkel muss man haben, und Theodor muss er heißen. Ich ergriff mit jeder Hand einen Hörer – wissen Sie, warum die Dinger Hörer heißen, obwohl auch Sprecher daran sind, ich weiß es nicht – und hielt sie an meine Ohren, zum Glück hatte ich auch davon zwei, so dass nun das rechte mit dem linken Ohr konferieren konnte. Also fast, fehlt ja noch der Strom. Aber dennoch, was ich sagte, konnte ich auch hören. War immerhin schon ein großer Fortschritt.

Einige Tage später kam dicke Post vom betagten lieben Onkel; ein dünnes Brieflein von der nun auch lieben Tante. Oben drüber stand: Onkel Theodor diktiert. Von meiner Mutter wusste ich, dass ihr Onkel nie selber schrieb, wozu hatte er die Tante auch geheiratet. – Anders Sohn meiner Mutter: Wilhelm diktiert, was Wilhelm schreibt, … obschon auch er verheiratet ist, heißt allerdings nicht Theodor –. Da hatte doch dieser gefitzte Onkel, der ein Großonkel war, ganz harmlos einen Kernsatz in Tantes Brief einfließen lassen, den ich nie vergesse: „Ich habe dem Paket, wie du sicher bemerkt hast, noch einige andere Teile, ebenfalls gebraucht, beigegeben, gehe ganz vorsichtig damit um, denn – bald wirst du mehr Erfahrung auf dem Gebiet haben – du kannst mit ein wenig Geschicklichkeit ein einfaches, aber wohl funktionierendes Fernsehgerät daraus bauen.“

Oh, welchen Schatz, welche phantastische Möglichkeit hielt ich da in meinen Händen, ein potentielles Fernsehgerät, wer kann sich das schon leisten? Keine Sekunde länger mehr dachte ich an das Telefon; aus, vorbei, meine ganze Sehnsucht galt dem selbstgebauten zukünftigen Fernsehgerät. Fein säuberlich und mit größter Sorgfalt habe ich die Teile gesichtet, untersucht, nur nichts kaputt machen, ich nahm des Onkels Kernsatz überaus ernst und wollt mich doch nicht durch irgendeine Unvorsichtigkeit um den kommenden Genuss eines Fernsehenden bringen, wo es bisher so wenige davon gab. Ich, als stolzer Besitzer eines solchen Gerätes, wie das schon klingt! Nach einigen Wochen der Katalogisierung aller Einzelteile und Einzelheiten auf einer größeren Anzahl von Zetteln aller Größen fühlte ich mich nicht mehr wohl. Was ich an Geschriebenem über Fernseher auftreiben konnte, hatte ich mit besessenem Eifer durchackert. Je mehr ich darüber in mich hinein schaufelte, umso größer wurden meine Zweifel, hätte doch umgekehrt sein müssen, reziprok. Doch die Sachlage wollte sich einfach nicht umkehren. Und so ganz langsam begann in mir ein fataler Verdacht aufzuwachen; mit jeder Woche, die ich älter wurde, wuchs der Verdacht. Ich saß an meinem Tisch vor den vielen Bauteilen, mein Auge wanderte wie schon so oft prüfend von einem zum nächsten, meine Gedankenkombinationen, angetrieben von meiner vorahnenden Phantasie, rannten heftig arbeitend jedem Blick meines Auges hinterher. Plötzlich schlug ich ohne Rücksicht auf Faust und Geräte auf den Schrotthaufen vor mir ein und schrie: „Dieser durchtriebene Kerl, dieser vollwanstige Dackel, dieser … dieser … dieser gemeine Fallensteller, elender, der hat mich geleimt!“ Außer den beiden Telefonhörern musste wirklich alles Schrott sein. Es war Schrott. Der kurze Brief wurde unverzüglich von meiner Wut über den gemeinen Theodor Onkel zerknüllt in den Papierkorb befördert. Was an Geschreibsel außer diesem empörenden Kernsatz sonst noch in dem kurzen Brief stand, habe ich vergessen.

Klar, ab jetzt hatte ich besagten Onkel mit dem C. auf dem Kieker, das Wort Rache war mir nicht so geläufig, aber, was sich in mir auftürmte, das war nichts als blanke Rache. Heute darf ich es mir ja eingestehen, fühlte mich über die Maßen gekränkt. Ich war an allen technischen Zusammenhängen interessiert, wie doch einst der Onkel Ingenieur auch. In diesem Interesse, waren wir da nicht Kollegen? Und da geht das ehemalige Direktorchen, das fettleibige – ja, so verächtliche Formulierung kam mir über die Zunge – hin und verarscht mich in so unverschämter, erniedrigender Weise. Ich konnte gar nicht anders, als langfristig auf eine strategisch gut vorbereitete Attacke in Gegenrichtung zu sinnen. Von nun an lag ich auf der Lauer, das heißt, ich lag geistig auf der Lauer, natürlich.

So kam es also, dass ich mit dem eigenwilligen Theodor Onkel noch ein Hühnchen zu rupfen hatte. Was heißt hier Hühnchen, es ging um ein Huhn, um das größte, das mir bis dahin untergekommen war. Zur Selbstversorgung hatten wir zu jener Zeit noch viele Hühner in unserem Garten, darunter auch so ein großes, das jetzt zu rupfen anstand. Meinen Sie nur nicht, ich hätte ein Huhn aus unserem Bestand rupfen wollen, ich habe das im übertragenen Sinne gedacht. Ich mochte unsere Hühner gern. Kurzum, die Gelegenheit, das Großhühnchen zu rupfen, kam so unverhofft und so bald, dass an strategische Vorbereitung überhaupt nicht zu denken war. Doch wie immer durfte ich mich auch diesmal auf meine Phantasie verlassen. Tat ich auch.

Meine Retourkutsche begann damit, dass wiederum ein Brieflein bei uns herein flatterte, diesmal an meine Eltern: Onkel Theodor diktiert, wie gewohnt. Tante Schreiberin und Onkel Dikteur luden sich auf ein Tässchen Kaffee und ein oder zwei Stücklein Kuchen zu uns ein. Theodor Onkel hatte die Tante wohl auch geheiratet, um sich von ihr in seinem Auto herum chauffieren zu lassen, das tat sie, denn er konnte nicht Auto fahren, und als gewesenes Direktorchen brauchte er das auch nicht, ihm stand zu beruflichen Zeiten ein Wagen mit Chauffeur zur Verfügung. Und, siehe da, sie nahmen die sechzig bis siebzig Kilometer holprigster Nachkriegsstraße unter ihres Autos Räder. Bedenken Sie, das bei ihrem Alter. Im Kriechgang zuckelten sie über den S-förmigen Kiesweg unserer Einfahrt, krabbelten unbeholfen aus dem Gefährt heraus, die Tante geleitete den Onkel fast feierlich die beiden Treppenstufen zum Haupteingang des Hauses hinauf, stellte ihn unter dem Rundbogen der Haustüre ab, betätigte für ihn die Türklingel, krabbelte dann wieder mühsam in das beräderte Gerät und stellte es im Schatten der elterlichen Garage direkt in der Einfahrt zu unserem Garten vor dem Maschendraht bespannten Gartentor ab. Wir Kinder hatten wie die Orgelpfeifen zur Begrüßung der beiden Stadtmenschen anzutreten. Der Theodor Onkel ergriff zum Gruß nicht die ganze Hand, wie es uns und vielleicht ja auch vor Zeiten ihm anerzogen worden war, er fasste mit Daumen oberseits und Zeige- und Mittelfinger unterseits nur die Fingerpartie jeder ihm gereichten Kinderhand. Ich empfand es als Halbherzigkeit und Geringschätzung: Sind ja nur Kinder, die frechen Gören; innerlich schüttelte mich solcherart lässiger Gebrauch von Händen. Nach abgewickelter Begrüßungszeremonie wurde uns elterlicherseits bedeutet, nun zu verschwinden. Als wenn man uns das hätte bedeuten müssen. Ja, ja, Sie haben schon recht gehört, der zum Einsatz kommende Fachbegriff hieß wirklich verschwinden.

In der Ausführung der auf Verschwinden lautenden Aufforderung ging mir ein Licht auf: Das jetzt war die sich unerwartet anbietende Gelegenheit zum Heimspiel. Doch sie fiel mir so unvorbereitet in die Hände, an treffsichere Strategie war da gar nicht mehr zu denken. Ich wusste nicht einmal, wie ich nun heimzuspielen hatte, nur, dass es heute, jetzt, in diesem Moment geschehen musste. Wie meistens zog ich meinen um ein Jahr älteren Bruder zur Unterstützung heran. Wir schlenderten um das Villa genannte stattliche Elternhaus herum. Nicht wunders, wir stießen schon nach kurzem Sichten der Gegebenheiten und der Sachlage auf das Onkel-Tante-Fahrinstrument in der Einfahrt. Wie ein Blitz schlug es in meinem Kopf ein: Das jetzt, das ist das Objekt meiner Rache. Um das zu verstehen, muss man wissen, um was es sich da handelte, das ich Objekt nannte. Zu dessen Beschreibung kann ich nur die überaus treffsicheren Ausdrücke aus unserer Kinderzeit heranziehen: rollender Beichtstuhl, Butterkiste, Leukoplast-Bomber, Zelluloid-Büchse, Geizbehausung, Hämorrhoidenschleuder, Nuckelkiste, Mückensarg, Gemüseschachtel, Fliegenfalle, (Hinter-)Backenklemmer, feuriger Elias, Pensionistentraktor. Am Auspuff machte es paff, paff, es qualmte aus dem Abgasrohr, ein fahrendes Feuerzeug. Gleich würde er Feuer speien! Dachte ich. Das Dings da hatte jedoch Anstand genug, es nicht zu tun. Alles klar soweit? Alles klar!

Wer sich freut, der fährt Lloyd. Ja, Lloyd hieß die Kiste. Dass es sich tatsächlich um eine Kiste handelte, hatten wir schnell heraus. War leicht zu verifizieren, nur mit der Hand draufklopfen, schon wusste man‘s: aus Sperrholz, stellen Sie sich das vor, aus Sperrholz, ein Mist musste das sein, na klar! Wer den Tod nicht scheut, der fährt Lloyd. Sperrholz mit Kunstleder überzogen, pfui, Kunstleder, so was Billiges, Falsches. Und das Schlimmste, dieses Dings da war ein Zweitakter, brum, brum, ähm……..ähm, ein fürchterliches Geheule, der brauchte keine Hupe, Tier und Mensch verließen fluchtartig vor ihm die Straße. Ein vierrädriges Kleinmotorrad könnte nicht mehr Lärm entfalten. Ein Zweitakter, phe! Ne, so was! „Ein Auto mit nur zwei Takten, ist nur für Leute mit wenig Takt“, kam es mir in den Sinn. Natürlich, Unsinn. Aber damals … traf schon zu. Jedenfalls, das war kein Auto, ein besserer Teppichkehrer, eine Seifenkiste für Erwachsene, mehr nicht. Was mich in Erstaunen brachte, ich fand an dem Töff-Töff keinen Griff zum Wegwerfen. Mein ganzer Spott floss über die harmlose unschuldige Kiste aus.

Was der Rache Dienlichem könnte man mit oder an einem solch kriechenden Untersatz wohl machen, ohne das Gefährt in irgendeiner Weise zu demolieren? Sachbeschädigung würde nämlich per väterlichem Prügelstock fürchterlich geahndet. Diese Konsequenz war zu umgehen. Also umgingen wir zuerst einmal das Fahrzeug, leider keine Anhaltspunkte für eine rächende Hand. Angekommen am linken Kotflügel, einer Art Kotkasten, wollte ich unter das Gerät schauen. Dazu stützte ich mich mit der rechten Hand auf dem Kotsammler ab und merkte, wie die Federung nachgab. Dann noch Mal, mit beiden Händen das Lloydauto nach unten drücken, kräftig, rasch loslassen, es schnellte sofort in die Höhe. Meinen vom anvisierten Rachefeldzug nichts ahnenden Bruder schickte ich an den rechten Kotflügel, dort mit beiden Händen kräftig niederzudrücken. Da unsere Drückaktionen nicht koordiniert ansetzten, begann das Auto von rechts nach links und wieder von links nach rechts zu schwanken, sozusagen wie Wasser hin und her zu schwappen. Weitere Anweisung an meinen Bruder, den älteren: „Jetzt im Takt, eins zwei drei, eins zwei drei.“ Brachte nicht viel an Wirkung. Der Dreitakt bewährte sich nicht: „Also jetzt im Zweiertakt, auf eins gleichzeitig runterdrücken, auf zwei loslassen und umgreifen auf die Kante des Kotflügels und nach oben reißen.!“ Oh, und wie das wirkte. Hätte ich gleich wissen sollen, war doch ein Zweitakter. Eins zwei, eins zwei, eins zwei. Es ging zusehends leichter. Die Kunstleder bespannte Kiste fing leichtfüßig an zu tanzen. Später lernte ich im Physikunterricht, dass wir gerade den so genannten Resonanzfall erwischt hatten. Ja, das war‘s, jetzt wusste ich, was zu tun war. Alles klar.

Für Abmessungen hatte ich schon immer ein geübtes Auge, so war mir nicht entgangen, dass die olle Schese – auch eine verächtliche Bezeichnung für ein altes, klappriges Motorfahrzeug, vielleicht abgeleitet von chaise französisch für Stuhl – etwa die Länge wie die Breite der Einfahrt, in der sie sich befand, aufwies. Rechts war diese Einfahrt von der Schatten spendenden Garagenwand begrenzt, links von einem schon angerosteten, festen Maschendrahtzaun, hinter welchem sich dichtes Gebüsch ausgebreitet hatte. Jetzt müsste man dem Wagen im Moment seines Hochschnellens nur noch einen Stoß zur Seite geben, dann sollte es doch möglich sein, ihn nach und nach, Zentimeter für Zentimeter auf einem Viertelkreis zu drehen. Also runterdrücken, hochschnellen lassen, und einer schieben, der andere ziehen, am Kotflügel, nicht wahr! „Runter-rauf-Schub, runter-rauf-Schub,“ … wir waren unversehens wieder beim Dreitakt angelangt, jetzt mit bester Wirkung. Das Biest bewegte sich um zwei, drei Zentimeter entlang eines Kreisumfangs mit zugehörigem Durchmesser von der Länge eines Lloyds. So, nun schnell dasselbe Manöver an den hinteren Kotflügeln, ebenfalls im Uhrzeigersinn: „Runter-rauf-Schub, runter-rauf-Schub!“ Siehe da, es war nicht zu übersehen, jetzt stand die Onkel-Tante-Kiste nicht mehr schön ordentlich gerade in der Einfahrt, das heißt parallel zu Garagenmauer, sie stand ein wenig schräg, leicht andiagonalisiert. Nur noch Geduld und Spucke. Immer und immer wieder; vorn: „runter-rauf-Schub, runter-rauf-Schub!“ hinten: „runter-rauf-Schub, runter-rauf-Schub!“ und vorn: „runter-rauf-Schub, runter-rauf-Schub!“ hinten: „runter-rauf-Schub, runter-rauf-Schub!“ Ja, toll, es ging, es ging. Schließlich stand der Lloyd stumm und brav wie ein Unschuldslamm quer in der Einfahrt, zwischen vorderer Stoßstange und Garagenmauer nur fünf, höchstens zehn Zentimeter Abstand, zwischen hinterer Stoßstange und Maschendrahtzaun auch nur etwa 4 bis 8 Zentimeter. Herrlich, das muss man sich vorstellen, nein, dass muss man gesehen haben. Ganz schön kreativ, aber auch ganz schön frech. Einfach verrückt. Und jetzt aber nichts wie weg.

Nichts wie weg, war einfach gesagt, nicht so einfach aber, wenn man bedenkt, ich musste doch meine Rache nun auch weidlich genießen, auskosten können. Unser Haus war ein Kubus aus Buntklinkern mit einem aufgesetzten Schwarzziegel-Walmdach, an der Vorderseite gab es einen stilisierten Portikus, der auf einer Art Podest aus grünlichem Schevenhüttener Stein mit zwei Stufen errichtet war, von nur zwei Säulen getragen, und der keinen Tympanon, nur ein Flachdach besaß. Vom Fenster unseres so genannten Spielzimmers aus konnten wir auf das mit Bitumenpappe belegte Portikusdach hinunter schauen. Mit einem kaum riskanten Sprung aus dem Fenster war uns die Dachfläche – Größe ca. fünf mal zweieinhalb Meter – leicht erreichbar. Für Versteckenspiel mit Freischlagen war das ein bestens geeigneter Ort, ich lag dann flach auf dem Bauch auf dem mit feinsten Kiesperlen bestreuten Bitumenszeugs, von unten konnte man mich nicht entdecken; mir bot sich nach drei Seiten ein ausgezeichneter Rundblick. Wenn die Luft rein war, robbte ich bauchlings über die Dachrinne, krallte mich hängend mit beiden Händen an selbiger fest, nahm Schwung wie ein Perpendikel und ließ bei dessen weitestem Ausschlag von der Rinne ab, um vor dem Portikus auf Beine und Boden zu landen. Ein wenig gewagt, bei meinem Fliegengewicht, aber weit weniger kritisch, als es aussehen mochte. Dann der Freischlag: „Frei, frei, frei!“

So, nun wissen Sie schon, dieser Portikus – ein vor der Haustüre aufgespannter rechteckiger Schirm, sowohl dem Regenschutz als auch der Repräsentation dienend – war mein Fluchtpunkt. Rasch die lange, Teppich bewehrte Holztreppe hinauf in das Spielzimmer, durch den Handgriff-Fensterflügel hinaus auf das Dach und schnell in Bauchlage. Vor lauter Lachen mussten wir, wie gesagt mein Bruder und ich, unseren Bauch halten, nein, mussten wir nicht, konnten wir nicht, weil wir ja drauf lagen. Es war zum auf dem Dach Rollen. Und wir hatten besten Ausblick auf das großonkelsche Kleinauto, freie Sicht ohne Einsicht, zufrieden wie nach einem riesigen Stück rheinischer Prummetat – auf einem rechteckigen Kuchenblech vorschriftsmäßig gebackene Pflaumentorte – , jeden Moment müsste der Rachetraum in Erfüllung gehen. Und er ging. Schnellsten Schrittes.

Was dann kam, nannten wir, unwissend um die Zusammenhänge, einen inneren Reichsparteitag. Kein Rachetraum, ein paradiesischer Rachetraum, köstlicher noch als die dunkelroten Früchte des aus- und einladenden Kirschbaumes auf unserem Gartenspielplatz. Es war eine Feinheit, ein Genuss, da so ganz anders beschert als von mir erwartet, weitaus anders, als ich mir das in meiner überaus regen Phantasie hätte ausmalen können, weitaus peinlicher, humorvoller, despektierlicher, tückischer, lustiger, verrückter, beschämender, verletzender, je nachdem, von welcher Warte aus man die Ereignisse betrachtete.

Der eher kleinwüchsige Großonkel, gewandet in Regenmantel und Hut, seinem Gehstock in unsicheren kleinen Schritten hinterherschleichend, es war Frühsommer und es regnete nicht, wurde mit etwas staksigen Gehbewegungen von der ihm angetrauten Tante mit den behaarten Zähnen mutig überholt, zugleich nervös in ihrem schmalen, geizig-kleinen Damenhandtäschlein nach den Autoschlüsseln kramend, also unten die Beine am Boden festgefroren und oben die Hände nervös, eine Karikatur ihrer selbst, zum Totlachen. Unser Vater bewegte sich seitlich des ältlichen Duos ebenfalls in Richtung meines Tatortes. Die Zwei oben auf dem portikalen Dach platzten fast vor Spannung und zurückgestautem Auflachen. Jeden Moment musste die Leukoplastbombe hochgehen. Als erste traf es die klapprige Tante, dass sie fast von den welken Knochen gefallen wäre. Reden konnte sie nicht mehr, ihre rechte Hand zitterte mit dem Schlüsselbund aufgeregt hin und her, ihre Beine starr, die Füße unbeweglich wie auf dem Kiesboden angeklebt. Onkel Direktor schob sich Schritt für Schritt näher, erspähte das Desaster, riss den Mund auf, brachte ihn nicht mehr zu, färbte sich nach bekannter Manier von der Nase ausgehend vermutlich über den ganzen Körper, pumpte vor Aufregung die langsam abkühlende Abendluft in solch starken Schüben in sich hinein, dass man fürchten musste, sie käme hinten wieder heraus. Mit Armen und anhängendem Stock fuchtelte er wild durch die Gegend. Dann geschah etwas Merkwürdiges, mein Blick fiel auf unseren Vater, mir entging nicht, er wandte sein Gesicht von der ulkigen Szene ab. Ich bin heute immer noch fest davon überzeugt, vor der beobachteten Kopf-Abdrehbewegung noch ein Grinsen wahrgenommen zu haben, nicht ein schadenfrohes, nein, das hätte er nie getan, aber doch ein verständnisvolles. Er gewann blitzschnell den Überblick über das von uns vorbereitete Schlachtfeld. Sofort war ihm klar, wer der Drahtzieher und Anführer gewesen sein musste, was er aber nicht wusste, war, dass zwei seiner Söhne auf dem Vordach lagen, das Schauspiel genießend, und dass einer von ihnen sein verstehendes Grinsen aufgefangen und als strafmildernd auslegte.

Der Onkel C. dagegen fasste sich erst langsam. Mit gleichermaßen langsamer Langsamkeit bewegte er sich entlang seines geliebten Automobils zur Garagenaußenmauer, zurück bis zum Maschendrahtzaun, dann wieder zur Garagenmauer, das Ganze mehrmals hin und her, wobei er jeweils an Mauer und Zaun den roten Kopf verneinend hin und her drehte, wenn er den Abstand zwischen vorderer Stoßstange und Mauer und hinterer Stoßstange und Zaun ermaß. Selbst für den besten Ingenieur schien solches nicht möglich. Jeder Weg, so etwas zu bewerkstelligen, blieb ihm unvorstellbar. Stumm stand er neben seinem so misslich behandelten Gefährt, die linke Hand lag auf dem Kunstleder-Sperrholz-Überzug, die rechte auf dem ebenso stummen wie krummen Gehstockgriff gestützt, nur seine Augen bewegten sich auf der Suche nach seinem angeheirateten Neffen. Es war ein Bild für die Bildzeitung. Oder auch für den Blick.

Unser Gärtner und Hausfaktotum, Heinrich, genannt Hein, wurde schleunigst gesucht, uns zu suchen. Er stand immer auf unserer Seite und half uns, wenn wir allzu sehr in der Klemme steckten. Doch diesmal fand er kein Ablenkungsmanöver, vermutlich war er selbst zu perplex. Natürlich, er fand uns sofort, er kannte alle unsere Schliche und Verstecke, verschwieg, wo er uns aufgelesen, und führte uns an den Ort der heftigen Aufregung. Leugnen hatte keinen Sinn, weitere Strafmilderung war nun unsere Strategie. Also zugeben. Taten wir denn auch, aber ohne den verdutzten Onkel eines einzigen Blickes zu würdigen.

Von da an nahm unser Vater die Sache in die Hand, damit die unangenehme Angelegenheit nicht ganz außer Kontrolle geriet und sich zu einem unheilbaren familiären Schisma fortentwickeln könnte. Nach dem vorher beobachteten Schmunzeln auf seinem Gesicht verhieß das einen für uns vorteilhafteren Ausgang des Vorgefallenen. Besser er der Richter als der aufgebrachte Fahrzeughalter, denn ersterer würde als eigentlich Nichtbeteiligter die Sache auf eine rationale Ebene bringen, letzterer völlig emotional und unberechenbar reagieren. Wie recht ich hatte. „Wie habt ihr das fertiggebracht?“, wurde ich gefragt. Umständlich und langatmig begann ich zu erklären; „Vorn: runter-rauf-Schub, runter-rauf-Schub, hinten: runter-rauf-Schub, runter-rauf-Schub!“ „Aber verzapft mir doch keinen Kohl, das ist doch völlig unmöglich.“ Was jetzt antworten? Frontalangriff, wenigstens es versuchen. Entschlossen kam meine Gegenwehr: „Soll ich etwa lügen, nur weil du die Wahrheit für unmöglich erklärst? Hast du je so was einmal probiert?“ Das hatte Wirkung, plötzlich fühlte sich der Richter förmlich zwischen Stoßstange und Garagenwand eingeklemmt.

Um dem bebenden Onkel und der zitternden Tante keine Gelegenheit zu gefühlsmäßigem Ausbrechen zu gewähren, wurde Gärtner Hein zum gegenüberliegenden Betrieb geschickt, vier kräftige Leute zu holen. Befehl vom Chef; die kamen sofort. Acht starke Arbeitshände nahmen sich des traurigen Automobils tatkräftig an, packten an den Kotflügelkästen entschlossen zu, ein leichtes Ächzen im Autogebälk, ein lautes Hauruck, und sie trugen vorsichtig das Auto wieder in die mustergültige Position in der elterlichen Einfahrt, begrenzt von Buntklinkergaragenmauer und Maschendrahtgartenzaun. Mit seinem spröden preußischen Charme und einer kleinen Verbeugung ging unser Vater geradewegs und eiligen Schrittes zur Fahrertüre des so ungnädiglich von uns behandelten Lloyd-o-mobils seines kochenden Onkels und gab der Chauffeuse mit seiner Rechten unmissverständlich Zeichen, einzusteigen. Wie eingeschüchtert leistete Wilma Tante der eindeutigen Geste, die kein Ausweichen zuließ, gruß- und wortlos Folge. In diesem Moment erschien es mir das Beste, es meinem Vater gleich zu tun, natürlich an der Beifahrertüre. Kaum zu erwarten, mein abgegucktes Tun hatte auf den Theodor Onkel dieselbe Wirkung wie auf die von ihm geehelichte Tante. Vor meinen Augen eine wie von Zauberhand bewegte Marionette. Klapp, klapp, ein hölzerner Klang, zu die beiden Türen, der Zweitakter heulte auf, das Getriebe krächzte, Meister Loyd setzte sich zuckelnd in Bewegung, rückwärts, zu unserer Erleichterung. Indes waren wir in die Rolle von Statisten gedrängt, bildeten stummes Spalier, unser Vater und Gärtner Hein führerseitig, mein älterer Bruder und ich beifahrerseitig. Wir vier winkten noch, als sich Onkels Lloyd behutsam, stotternd durch die S-Kurve davonschlich. Da war dieses Grinsen wieder, diesmal auf zwei Gesichtern, den gegenüber uns Stehenden. Niemand sprach ein Wort. Unser Vater ging ins Haus, Hein in den Garten, wir auf den Spielplatz. Niemand sprach ein Wort, ich meine darüber. Auch in den nächsten Tagen nicht. Die Angelegenheit hatte sich selbst erledigt. Ich war‘s höchst zufrieden. Hat er davon, der Onkel, der theodorsche, war ja auch nicht nett von ihm, mich solcherart mit einer Sendung Kleinschrott zu foppen und zu kränken. Jetzt hat er seinen Tee (rheinisch für: jetzt hat er seinen Ärger, Schaden, Nachteil). Und auf dem erhöhten Porto für das doch wesentlich schwerere Paket bleibt er auch noch sitzen, der Geizige.

Damit könnte ich meinen Laptop nun zuklappen. Das Gesetz von Aktion und Gegenaktion war erfüllt, die Sache zu Ende gebracht. Doch …, sie war es nicht. Das Beste kam noch.

Nach etwa einer Woche, wieder war es ein Brieflein, wieder stand oben drüber: Onkel Theodor diktiert. Diesmal sogar mit Schreibmaschine geschrieben. Der Brief splitternackt, es gab keine Anrede und keine Grußformel an Schluss, nur unten drunter ungelenk nach rechts abfallend und in recht großen Lettern: Theodor C., Stammesname ganz ausgeschrieben. Was zwischen dem Nichts geschrieben stand, klang etwa so: „Wilma und ich sind unter größter Gefahr für Leib und Leben in die Pippinstraße 10 zurückgekehrt. Wir haben mehr als die doppelte Zeit gebraucht. Die ständigen Bruchgeräusche, die von der Karosserie ausgingen, haben uns in große Angst versetzt, wir könnten jeden Moment mitten auf der Straße liegen bleiben. Ein Geräusch vom Getriebe hat uns völlig entnervt. Wir sind jetzt noch so sehr geschockt, dass wir seither das Auto nicht mehr angerührt haben. Unser schönes Auto ist nicht mehr verkehrssicher. Ich mache euch für alle Schäden haftbar und verlange zusätzlich für mich und Wilma ein angemessenes Schmerzensgeld für alles, was wir haben erdulden müssen.“ Wie doch ein Blatt leichten Papiers mit derart harten Forderungen beschwert werden kann. Hätte ich‘s mir doch gleich denken können, dieser Onkel, ein ganz gefitzter. O-je-o-je, was nun?

Unser Vater hielt sich zu unserem Glück auf der rationalen Ebene, ließ sich nicht aus dem Häuschen bringen. „Wo ist der Heinrich?“ Er wurde geholt. „Heinrich gehen Sie zum Betrieb und holen den VW!“ War ein VW Käfer, VW baute damals noch nichts als Käfer.
Der Käfer ward geholt und sorgfältig und parallel in der Einfahrt abgestellt. Mein Bruder und ich hatten uns sofort an Ort und Stelle einzufinden, ohne Pardon. „Vormachen“, kam die Aufforderung von unserem Vater, „vormachen, wird‘s bald!“ Seine Stimme fest, aber ohne erzieherische Strenge. Mein Bruder und ich bezogen an den vorderen Kotflügeln rechts und links Stellung, dann Dreiertakt: „runter-rauf-Schub, runter-rauf-Schub.“ Natürlich wich … , nichts natürlich, der Käfer wich nicht zur Seite, nicht einen Deut. „Es geht nicht, wir schaffen es einfach nicht, der VW ist aus Blech, der ist viel schwerer.“ Neue Chefanweisung: „Heinrich, holen Sie im Betrieb vier starke Männer!“ Hein genierte sich. Er brachte die acht starken Arme dennoch sofort her, und ich musste ihnen die von mir entwickelte Lloyd-Methode vermitteln, die sie ihrerseits auf den Käfer zu übertragen hatten. Nicht ganz so leicht und nicht ganz so schwungvoll, doch es ging. Eine Wendung von neunzig Grad ließ sich nicht bewerkstelligen, der VW offensichtlich länger als die Einfahrt breit. „Heinrich, drüben ist mehr Platz!“ Hein verstand. Dort, wo mehr Platz eine Viertelkreis-Drehung erlaubte, mussten die Männer unter meiner genauesten Beobachtung erneut ran. Sie schafften es. Sollte ich erleichtert sein? Ich wusste es nicht. Das hier war ja nicht mehr meine Sache. Heinrich unternahm weisungsgerecht mehrere Probefahrten und brachte abschließend günstigen Bericht: „Dat mät demm nix!, gab er zu Protokoll (rheinisch, das macht dem nichts).

Wohl war unser Vater ein viel zu vorsichtiger Unternehmer, als dass er die Sache damit auf sich bewenden ließ. Im Rheinland bezeichnet man einen juristisch begabten Laien als Heckenadvokat; das war er. Mit einem der VWs der Firma ging‘s in die Stadt, nach Düren, zur Lloyd -Borgward-Vertragswerkstatt. Nach kurzem Gespräch mit dem Werkstattleiter gab er erneut Anweisung: „Vormachen, wird‘s bald!“ Es wurde bald, nämlich sofort. Mein Bruder und ich nahmen, wie gewohnt, den Lloyd, der uns zugewiesen ward, in die Hand; vorn: „runter-rauf-Schub!“; hinten: „runter-rauf-Schub!“, gaben wir uns selbst wieder wie antrainiert das Kommando; vorn: „runter-rauf-Schub!“; hinten: „runter-rauf-Schub!“ Mit einer gewissen Feierlichkeit vollzogen wir das eingeübte Ritual. Natürlich ein glatter Erfolg. Es ist wie bei einer Medizin, soll sie wirken: Die Rezeptur muss stimmen. Sie stimmte. Grandioser Erfolg, alle lachten schallend, auch der Werkstattleiter und sein Lloyd. Erneut die Ansage: „Dat mät demm nix!, diesmal vom Chef der Niederlassung, der von der Tür des bürodienlichen Holzverschlages aus das Manöver mit sichtlicher Begeisterung beäugt hatte. Unser Vater vergass trotz allgemein wohlwollender Heiterkeit, in welche das laute Gelächter überging, nicht, eine mit Firmenstempel versehene und unterschriebene Bestätigung auf dem offiziellen Briefpapier der Vertragswerkstatt zu erfragen. Seiner Bitte wurde bereitwilligst entsprochen. Kein wenn und aber. Wieder dieses Grinsen! Offensichtlich besserte sich meine Lage mit zunehmendem Abstand vom Erstgeschehen. Dennoch traute ich mich nicht– nicht einmal unbemerkt– , mir auf die Schulter zu klopfen, nicht einmal im Geiste, um das Schicksal nicht herauszufordern. Was Prügel von unserem Vater zu beziehen heißt, wusste ich leider schon zur Genüge. Zu oft war ich als Drahtzieher ermittelt worden.

Entspannt auch der VW, sich ebenso eins grinsend, brachte er uns zügig zurück durch die S-Kurve und stellte sich ordentlich und parallel in die Einfahrt. Unser Vater öffnete die Fahrertüre einen Spalt, hielt kurz inne wie zum Nachdenken, wandte sich uns, die wir auf der Hinterbank still und gesittet da saßen, zu und meinte mit ruhiger Stimme und ohne jede Emotion: „Ein Auto ist kein Spielzeug, man muss damit vorsichtig umgehen.“
Am nächsten Morgen trugen mein Bruder und ich mit einem feinen Grinser auf unserem Gesicht einen etwas dickeren Brief auf die Post in unserem Dorf, adressiert: An Herrn Dipl.-Ing. Theodor C. Pippinstraße 10.

Onkel Theodor ward nie mehr bei uns in Mariaweiler gesehen. Für einen Ingenieur hatte er offenbar wenig Humor. Und Telefontechnik dürfte er besser gekannt haben als Fahrzeugtechnik. Meine Mutter hatte zu ihrer Tante ein gutes Verhältnis. Mag sein, dass dies der Grund war, dass Tante Wilma unsere Mutter nach Onkel Theodors Tod hier und da noch besuchte. Nicht mit dem Auto, sie nahm den Zug.

Hier wäre meine Niederschrift eigentlich zum zweiten Mal zu Ende, gäbe es da nicht noch ein höchst amüsantes Ereignis am 1. April des folgenden Jahres. Die Geschehnisse um den erbarmungswürdigen Lloyd hatten in unserem kleinen Dorf sofort die Runde gemacht. Den Onkel Theodor kannte niemand, drum entlud sich der ganze Spott der Leute auf die kleinen Lloyds, die man hier und da herumfahren sah. Wie immer trifft es die Schwächsten. Am Morgen des 1. April verlasse ich ausnahmsweise einmal als Erster das Haus, 07:10 Uhr, um den Bus in die Stadt zu erreichen. Setze den Fuß auf das Podest unter dem portikalen Vordach, reiße vor Scheck die Augen weit auf: vor mir das Goggomobil des Firmengärtners, der Schme‘eß genannt wurde, des Goggos Hinterräder noch auf dem Kiesboden vor den beiden Treppenstufen, seine Vorderräder auf dem Podest, in Schräglage also. Eine verspätete Schneebrise hatte alles leicht eingedeckt. Der Bus wartete nicht, ich musste weg. Konnte mir denken, was passiert war. Die vier starken Männer, die ich quasi angelernt, stellten sich später als Täter heraus. Sie kamen so unbeschadet davon wie ich zuvor auch. Den Spott hatte Schme‘eß, er wurde darob noch jahrelang danach am Stammtisch gehänselt.

Hier nun könnte meine Niederschrift ein drittes Mal ihr Ende finden, tut sie aber nicht. Denn nichts auf dieser Welt geht zu Ende. Alles, was nach menschlichem Auge zu Ende kommt, ist in Wirklichkeit nur eine Wandlung in etwas anderes, das wir als Neues empfinden und auch so bezeichnen. Doch dieses Neue steht auf dem Fundament des Gewesenen.

Gezählt wurde das fünfundachtzigste Jahr des letzten Jahrhunderts. Es war zur Zeit der Semesterprüfungen. Die Unterboden-Parkgarage der Berufsschule Olten im Bifang wurde deswegen besonders stark in Anspruch genommen. Alle Plätze ohne besondere Zuweisung waren besetzt, nur noch einige wenige Lehrermobile waren nicht auf den ihnen zugeordneten Plätzen anwesend. Unter den noch freien gab es zwei nebeneinander liegende Parkflächen; links, dicht neben der linken von den beiden, war eine kräftige Betonsäule damit beschäftigt, die Betondecke der angenehmen Parkgarage zu tragen, während rechts neben der rechten Leerfläche sich ein Lehrerauto die Zeit mit Warten auf seinen Herren vertrieb. Just in diese beschauliche Unterwelt fuhr eine etwas nervös wirkende Dame ein, wie ein scheuer Fuchs das Revier nach Beute, einem freien Platz, absuchend. Nachdem sie zum x-ten Mal den Kreis durch das schon weitgehend belegte Jagdrevier gezogen hatte, sah man in ihrem Gesicht den Moment gekommen, kurzerhand in einen der wenigen noch freien Lehrerplätze einzuschwenken. Und das geschah auch umgehend, der linke der soeben erwähnten beiden freien Stellflächen, der rechts neben der schwer tragenden Säule lag, war der Auserwählte. Tür auf, Handtasche hastig unter den linken Arm geklemmt, keineswegs eine geiziges Täschlein wie jenes der Frau Tante Großtante mit möglicherweise den Initialen WC auf der Wilma’schen Gesitzfläche, eiligst die Fahrerinnentüre ihres Automobils zuschlagend, Schlüssel tatkräftig umdrehend, entschlossenen Schrittes dem Lift – früher hieß so ein Dings auf deutsch Aufzug, war wohl nicht mehr vornehm genug – also dem Lift zustrebend und darin fast lautlos verschwindend. Man wusste den Grund für ihr so nachdrückliches Hineinstreben in das darüber befindliche Lehrhaus nicht, wohl sah es ganz so aus, als habe sie irgendetwas vergessen. Da sie nach wenigen Minuten, mögen es 5 oder gar 10 gewesen sein, wieder aus dem Lift hervorkam, immer noch in der zuvor an ihr beobachteten Eile, verstärkte sich der Eindruck, sie habe etwas Wichtiges vergessen.

Und dann, ganz unglaublich, genau in diesem Moment ging bei mir im Büro das Telefon: „Du, hör mal, stell dir vor, da hat sich doch ein gemeiner Kerl, also quer vor mein Auto und die Säule, nein, nein, nicht davor, hinter mein Auto, wie soll ich dir das so schnell erklären, also mit seiner rechten Seite, ach, Unsinn, mit der rechten Seite seines Autos, dicht an meine hintere Stoßstange, ich komme da nicht mehr raus, eingekeilt, aus. Was soll ich tun?“ Was tun? Vielleicht hilft erst mal rheinischer Humor: „Ich habe noch nie bemerkt, dass du hinten eine Stoßstange hast, das wär etwas ganz Neues, sollte ich doch wissen.“ „Lach mich nicht aus, ich habe es eilig, das weißt du doch.“ Mein Beruhigungsversuch half wenig, eigentlich half er gar nichts. Jetzt konnte ich meine Frau nicht im Stich lassen: „Nimm‘s ganz ruhig, ich bin sofort da, dann sehen wir, was wir tun können.“

Während ich mir einen Überblick zu schaffen versuchte, erklärte sie mir, immer noch aufgebracht, sie sei nur wenige Minuten dort gestanden, weil sie vergessen habe, eine Prüfungsnote einzutragen, sie wisse, dass sie auf einem Lehrerplatz stünde, aber was hätte sie denn tun sollen, nur für die paar Minuten, wer sie da eingesperrt hätte, wisse sie nicht. In meinem Kopf liefen die Lloyd-Erfahrung im Schatten der Garagenwand und die Erkenntnisse der technischen Geometrie, zweites Semester, blitzschnell zusammen: Je höher der Schlankheitsgrad eines Körpers, das ist der Quotient aus seiner Breite und seiner Länge, um so geringer ist die Differenz aus der Länge seiner Körperdiagonale und dem Betrag seiner Körperlänge. Ist die Körperdiagonale länger als der Abstand zwischen den beiden Begrenzungen des Körpers, hier des Autos meiner Frau, also der Abstand von der Rückwand des Parkplatze bis zur Seitenfläche des einsperrenden Autos, dann gibt es keine Chance. Ich konnte jedoch mit hinreichender Genauigkeit abschätzen, dass dies hier nicht der Fall war. Es müsste sich ganz knapp ausgehen.

Einen VW Golf seitwärts zu verschieben, wie wir es als Kinder mit einem Lloyd fertig gebracht hatten, ging nicht, hatte ich ja gelernt; auch ist klar, man kann mit einem Auto mit Schaltung nicht auf einen halben Millimeter genau nach vorwärts und nach rückwärts fahren. Diese Erkenntnis war eminent wichtig. Unter Berücksichtigung all dieser Überlegungen gab es nur eine Methode: einer schieben, der andere steuern und bremsen. Zwei Zentimeter vorwärts, bremsen; Steuer ganz nach rechts drehen, vier Zentimeter rückwärts, bremsen; Steuer ganz nach links drehen, acht Zentimeter vorwärts, bremsen; Steuer ganz nach rechts drehen, elf Zentimeter rückwärts, bremsen; Steuer ganz nach links drehen, fünfzehn Zentimeter vorwärts, bremsen; und wieder, wieder und wieder. Fünfzehn bis zwanzig Mal auf diese Weise vor und zurück, vor und zurück, ganz behutsam. Dann endlich hat sich der Wagen so weit diagonal gestellt, dass es möglich wurde, rückwärts über den rechten leeren Parkplatz das Feld zu verlassen. Einsteigen, Türe zu und schnell ab zum Termin an der Kantonsschule. Die Konferenz dort hatte sich um etwa eine halbe Stunde nach hinten verschoben, meine Frau traf mit nur unbedeutender Verspätung ein.

Am dritten Tag nach der Parkplatzbefreiung wusste meine Brigitta zu berichten, dass sie von einem Kollegen angesprochen wurde: „Ich konnte doch nicht wissen, dass du es warst, sonst hätte ich dich doch nie blockiert, das ist mir so peinlich, aber sag mir, wie bist du da herausgekommen, ich war wie vom Blitz getroffen, das ist doch völlig unmöglich, das kann nur mit dem Teufel zugegangen sein, wie davongeflogen.“ Meine Frau hatte verlegen geantwortet: „Ach … du …, du … warst … das.“ Man erzählte sich im Kollegium: Ein lautes Doppelt-Lachen ward gehört.

Das nun also ist wirklich das Ende meiner Erzählung.

Fast, … fast … .

Wer anderen eine Grube gräbt, … und so … Sie wissen schon.

Ende

Trimbach, Weihnachten 2009