Ich leb und waiss nit, wie lang,
Ich stirb und waiss nit, wann,
Ich far und waiss nit, wohin,
Mich wundert, dass ich froelich bin.

(Magister Martinus zugeschrieben).

Der Spruch, in der Tradition des Priamel, wird einem Magister Martinus von Biberach, gestorben 1498, zugeschrieben, dürfte aber älteren Ursprungs sein. Er wurde zum Sinnspruch für die christlich Frommen, wenngleich von Martin Luther als ganz unchristlich abgelehnt und umgeschrieben. Warum die Zurückweisung durch den Reformator? Heißt es nicht expressis verbis: waiss nit und nicht etwa glaub‘ nit. Mag Glaube die Fröhlichkeit begründen, Wissen aber kann das wohl nicht. Damals wie heute verwechseln die Christen glauben und wissen, indem sie beides einander gleich setzen. Das muss unzulässig erscheinen, da glauben und wissen sich auf unterschiedlichen Ebenen vollziehen und sich völlig anderer Sprachweisen bedienen.
Der Vierzeiler hat vielfach Eingang in die Literatur gefunden. Vielleicht, weil er so leichtfüßig an uns herantritt, im Grunde dennoch die Tiefe des menschlichen Schicksals so kurz und prägnant beschreibt.

Wie würde wohl meine vierte Zeile lauten, eher etwa so:

Ich leb und waiss nit, wie lang,
Ich stirb und waiss nit, wann,
Ich far und waiss nit, wohin,
Nit wundert, nachdenklich ich bin.

Wir leben in einer Welt, deren wichtigste Mitteilung die Sensation ist, vergessend, dass gerade die Sensationslust Ängstlichkeit und Unsicherheit in uns erweckt und schürt. Würde uns die virulente Angst zur Erkenntnis der Ungewissheit führen, in welche wir geworfen, könnte sie uns heilsam sein. Der Mensch muss den Fährnissen des Lebens immer voll ins Gesicht schauen; so kann er die Angst eher zurückdrängen und sich den aufziehenden Gefahren mit der notwendigen Kraft entgegenstellen. Wohl kaum trägt die Sorge des Menschen um sich selbst, viel eher gibt die Sorge um den Anderen ein tragfähiges Fundament für das Leben.

Wilhelm Kufferath von Kendenich, © 2012